Was ist Positive Psychologie?
Die Positive Psychologie ist eine relativ neue Forschungsrichtung innerhalb der Psychologie. Sie widmet sich der Aufgabe, zu erforschen und zu kultivieren, was das Leben am meisten lebenswert macht. Dabei richtet sie den Blick gezielt darauf, welche Eigenschaften und welche Rahmenbedingungen mit Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit zusammenhängen. Sie stellt den Versuch dar, jene Eigenschaften von Menschen besser zu verstehen, die zu einem guten Leben beitragen und möchte es Menschen ermöglichen, ihre Stärken und Talente genauer kennen zu lernen und im Alltag für sich einzusetzen.
Ins Leben gerufen wurde die Disziplin, als Prof. Dr. Martin E. P. Seligman (Universität Pennsylvania, USA) mit Antritt seiner Amtszeit als Präsident der American Psychological Association im Jahre 1998 dazu aufrief, mit der Positiven Psychologie eine „neue Wissenschaft menschlicher Stärken“ zu fördern. Im Jahr 2000 beschrieben Martin Seligman und Mihaly Csikszentmihalyi in einem Beitrag im American Psychologist die Grundlagen und Grundideen dieser neuen Richtung. Die wissenschaftliche Erforschung der Grundlagen eines guten Lebens und jener Eigenschaften, welche Lebenszufriedenheit begünstigen und zum Aufblühen des Menschen führen (Flourishing), sollte seitdem verstärkt einen Gegenpol zur in der Psychologie und Psychopathologie vorwiegenden Untersuchung von Faktoren bilden, die in Zusammenhang mit pathologischen Phänomenen stehen.
Die Untersuchung der Ursachen von Wohlergehen auch bei Menschen, die kein psychisches Leiden verspüren, stützt sich unter anderem auf die Überlegung, dass die Abwesenheit von Krankheit Wohlergehen zwar vielleicht erst ermöglicht, jedoch allein nicht zu einem „guten“ Leben und dem Aufblühen von Menschen führt. Als letztendliches Ziel der Positiven Psychologie kann man sagen, dass sie sich als eigene Forschungsrichtung letztlich wieder überflüssig machen sollte. Dies wäre dann der Fall, wenn es in der Psychologie wieder selbstverständlich geworden ist, auch die positiven Bereiche des Lebens zu untersuchen und die Forschung zu den Grundlagen eines guten Lebens und zu den Möglichkeiten der Steigerung von Lebenszufriedenheit gleichgewichtig neben der zu den Ursachen von pathologischen Phänomenen und deren Behandlung steht.
Erste wichtige und erfolgreiche Schritte sind bereits getan. Um hier nur einen davon zu nennen: Wie ein entgegengesetztes Pendant zur Auflistung von psychischen Störungen im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) der American Psychiatric Association, schlagen Peterson und Seligman (2004) einen Katalog von 24 Charakterstärken vor, die zu sechs Tugenden zugeordnet werden (die Values-in-Action Klassifikation von Stärken und Tugenden, VIA). Die Autoren haben sich für Ihre Klassifikation (eine Art „Anti-DSM“) auf verschiedene philosophische, religiöse oder psychologische Quellen aus unterschiedlichen Kulturen gestützt. In den Katalog wurden solche Stärken und Tugenden aufgenommen, die über verschiedene Kulturen und Nationen hinweg erwünschte und erstrebenswerte Eigenschaften beschreiben. Als universelle Tugenden nennen die Autoren Weisheit und Wissen (dazugehörige Stärken sind beispielsweise Kreativität, Neugier oder Liebe zum Lernen), Mut (z.B. Tapferkeit, Ausdauer oder Tatendrang), Menschlichkeit (z.B. Fähigkeit zu lieben und geliebt zu werden oder Freundlichkeit), Gerechtigkeit (z.B. Teamwork oder Fairness), Mässigung (z.B. Vergebungsbereitschaft und Gnade, Bescheidenheit oder Demut) sowie Transzendenz (z.B. Spiritualität, Sinn für das Schöne oder Dankbarkeit).
Als empirisch begründete Wissenschaft untersucht die Positive Psychologie zwar positiv bewertete Phänomene, nimmt jedoch dabei eine objektive Haltung ein. Sie stellt Zusammenhänge zwischen Lebensstil und Wohlbefinden her, ohne jedoch vorzuschreiben, wie Menschen leben sollen. Ebenso ist man sich der Komplexität der Bedingungen bewusst und dass die positiven Aspekte menschlichen Verhaltens und Erlebens sehr facettenreich sind. Daher distanziert sich die Positive Psychologie von der Erstellung von vereinfachten Patentrezepten für ein gutes Leben, wie sie vor allem in der nicht-psychologischen Ratgeberliteratur zu finden sind.